Kinder in der Kita

Internationaler Kindertag

Kinderschutzbund fordert bessere frühkindliche Bildung in BW

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Bettina Gall

Zum Internationalen Kindertag wirbt der Kinderschutzbund Baden-Württemberg für kostenlose Kita-Plätze. Fachkräfte müssten von Verwaltungsaufgaben entlastet werden. Ein Interview.

Die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Baden-Württemberg, Barbara Becker, hat Ideen, wie der Personalmangel in Kitas und Schulen im Land wirksam bekämpft werden könnte. Probleme sieht sie auch bei Politik und Verwaltung.

Barbara Becker, Geschäftsführerin Kinderschutzbund BW
Barbara Becker, Geschäftsführerin Kinderschutzbund Baden-Württemberg.

SWR Aktuell: Der Kinderschutzbund Baden-Württemberg fordert mehr Geld für Bildung. Vor allem die frühkindliche Bildung sei chronisch unterfinanziert. Was muss hier geschehen?

Barbara Becker: Der Vorwurf bezieht sich auch auf die Finanzierung von Leistungen der Familien- und Jugendhilfe. Aber auch die frühkindliche Bildung ist unterfinanziert. Wir haben einen Personalschlüssel von zwei Fachkräften für 20 Kinder.

"Dadurch, dass wir so einen wahnsinnigen Personalmangel haben, traut sich jetzt schon fast niemand mehr zu sagen, dass eigentlich schon dieser Personalschlüssel zu gering ist."

Für Inklusion und Integration bräuchte man eben auch nochmal Fachkräfte, weil die Erzieher in der jetzigen Situation einfach total überlastet sind mit den sprachlichen Defiziten und auch mit den Problemen, die die Kinder durch die Corona-Pandemie mitbringen. Mit denen müssen ja auch deren Eltern jetzt klarkommen.

Es gibt auch Kitas ohne Personalmangel, wie ein Beispiel aus Stuttgart zeigt:

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SWR Aktuell: Da gibt es ja die Idee, durch ungelernte Kräfte, wie es beispielsweise in Radolfzell von Eltern praktiziert wird, die in den Einrichtungen unterstützen. Manche Fachkräfte fürchten dadurch eine Abwertung ihres Berufs. Sehen Sie hier dennoch eine Möglichkeit?

Becker: Ich sehe schon Möglichkeiten zur Entlastung. So sehe ich eine Kita-Leitung nicht mit Verwaltungsaufgaben im Büro sitzen. Das ist eine ausgebildete Fachkraft, die nach Möglichkeit am Kind arbeiten sollte. Die Fachkräfte können durchaus Unterstützung gebrauchen, zum Beispiel von Hauswirtschafterinnen oder Verwaltungsangestellten. Es darf eben nicht dazu kommen, dass quasi ungelernte Kräfte statt einer Fachkraft eingesetzt werden, so wie das jetzt über die Corona-Regelungen teilweise passiert ist - dass eben zwei ungelernte Hilfskräfte eine Fachkraft ersetzen dürfen. 

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SWR Aktuell: Von welcher Verwaltungsarbeit könnten Erzieherinnen und Erzieher entlastet werden?

Becker: Hier gibt es ganz viel Organisatorisches wie Personalmanagement: Morgens meldet sich eine Erzieherin krank, dann muss der Dienstplan umgestellt werden. Außerdem gibt es irgendwelche Kita-Feiern zu organisieren oder Essenspläne zu machen. Es gibt ganz, ganz viele Tätigkeiten, die bei den Pädagogen landen, die auch jemand anderes machen könnte.

Was passiert, wenn es zu wenige Beschäftigte vor Ort gibt, zeigt eine Studie des Verbandes Bildung und Erziehung:

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SWR Aktuell: Sie sagen, der Beruf des Pädagogen sollte attraktiver werden. Funktioniert das nur über mehr Geld?

Becker: Ich glaube nicht. Die Gehälter sind ja schon erhöht worden. Mir sind sehr viele Erzieherinnen bekannt, die permanent darüber nachdenken, ob sie ihre Stunden reduzieren, weil der Druck zu groß ist oder die darüber nachdenken, ob sie noch mal studieren und in eine beratende Tätigkeit gehen, weil ihnen die Arbeit mit den Kindern, aber auch mit deren Familien zu viel ist. Viele Erzieherinnen wünschen sich mehr persönliche Beziehungen zu den Eltern in kleineren Organisationen. Es werden immer größere Kinderhäuser gebaut, weil die sich erst ab drei bis vier Gruppen wirtschaftlich lohnen, aber für Kinder und Erzieher ist es natürlich ein Stress, in so einer riesigen Einheit den ganzen Tag zu verbringen.

"Teilweise würden die Erzieherinnen auch weniger Geld nehmen, wenn sie dafür in einer kleinen Einrichtung mit persönlichem Kontakt arbeiten könnten, wo sie sich mehr einbringen könnten."

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SWR Aktuell: Das Problem setzt sich ja in der Schule fort. Baden-Württemberg hat einen massiven Lehrkräftemangel. Auch hier will die Landesregierung Abhilfe schaffen durch Quereinsteiger. Ist das eine gute Idee? 

Becker: Das könnte eine gute Idee sein. Aber die Leute, die versucht haben, sich darüber zu informieren, wie das funktioniert, sagen, es werde unglaublich schlecht kommuniziert, wie dieser Quereinstieg eigentlich funktioniert. Es ist in anderen Bundesländern auch leichter und kürzer zu schaffen, in den Lehrerberuf einzusteigen. Von politischer Seite in Baden-Württemberg müsste ganz, ganz deutlich kommuniziert werden, wer für diesen Quereinstieg in Frage kommt und wie lange das dauert. Einfach mal wirklich Werbung dafür zu machen, das sehe ich momentan noch nirgends. In anderen Bundesländern gibt es dafür Programme.

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SWR Aktuell: Noch immer gibt es bei uns nicht wirklich Bildungsgerechtigkeit. Für Kinder aus sozial benachteiligten Schichten ist es wesentlich schwerer, einen guten Abschluss zu erreichen. Was muss getan werden, um das zu verbessern? 

Becker: Ich glaube, es würde helfen, tatsächlich kostenlose Kita-Plätze zu vergeben sowie die Kindergrundsicherung zu vereinfachen. Der Verwaltungsaufwand ist momentan so kompliziert, dass die Familien, die das eigentlich brauchen, entweder nichts davon wissen oder es nicht schaffen, die Leistung zu beantragen. Ich denke, die Familien müssen einfach gut aufgestellt sein. Man kann mit Sicherheit auch durch eine kostenlose Kita einiges erreichen, weil viele Kinder dann einfach früher mit der deutschen Sprache in Kontakt kommen und Lernanreize haben. 

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